Roses Revolution
Am 25. November 2021 wurden an den drei Geburtskliniken in der Ortenau Sträuße mit Rosen abgegeben. Sambucus e.V. schließt sich hiermit der »Roses Revolution« an, die auf eine gewaltfreie Geburtshilfe aufmerksam macht. Die Rosen stehen für strukturelle Missstände in den Kreißsälen sowie für Lösungsansätze aus Sicht von Sambucus e.V.
Unser Brief an das Kreißsaalteam
Liebes Kreißsaalteam,
wir wissen, wie es Ihnen jedes Jahr rund um den 25. November geht. Mit welcher Spannung auf die Rosen gewartet wird und mit welcher Erleichterung der Tag zu Ende geht, wenn es bei wenigen abgelegten Rosen blieb. Es macht betroffen zu wissen, dass hinter jeder Rose ein Schicksal steht und für eine Erfahrung hier im Haus steht, die die Familie nachhaltig belastet. Es macht aber auch verzweifelt zu wissen, dass es einige Punkte gibt, die strukturelle Ursachen haben und das Kreißsaalteam ebenfalls darunter leidet. In diesem Jahr möchten wir vom Verein Sambucus e.V. der Betroffenheit und der Verzweiflung Worte geben. In unserem Strauß befinden sich Rosen für Gewaltstellen, die oftmals vor allem strukturelle Ursachen haben. Zusätzlich zu diesem Strauß haben wir die nachfolgenden Worte an die Verwaltungsdirektionen verschickt. Die Auflistung wurde aus Erfahrungsberichten aus der kompletten Ortenau erstellt und betrifft alle drei Klinikstandorte gleichermaßen. In unserem Strauß befinden sich aber auch Rosen für Lösungsvorschläge. Bitte wenden auch Sie sich an Ihre Verwaltung, Ihre leitenden Chef- und Oberärzte oder leitenden Hebammen, um gemeinsam Veränderungen zu schaffen. Auch wir sind gerne gesprächsbereit. Wir sehen die strukturellen Probleme , wir sehen die Not des Personals, aber wir hören vor allem die Eltern, die nur schwerlich mit ihren Erfahrungen leben. Manche Dinge lassen sich nur langsam verändern und andere Dinge liegen in der persönlichen Verantwortung jeder Fachkraft.
Mit freundlichen Grüßen
Sambucus e.V.
Unser Brief an die Verwaltungsdirektoren
Sehr geehrte Verwalungsdirektoren,
wir kontaktieren Sie heute bezüglich einer Rückmeldung über Probleme in der Geburtshilfe in Anlehnung an die Roses Revolution. Diese friedliche Revolution gegen Respektlosigkeit und Gewalt in der Geburtshilfe findet weltweit immer am 25. November statt. In diesem Jahr möchten wir Probleme ansprechen, die aus unserer Sicht strukturelle Ursachen haben. Es werden Rosen abgelegt, welche als Symbol für das Leid der Betroffenen, für ihre Geschichte und ihre Verletzlichkeit stehen. Wir möchten heute im Namen von vielen Betroffenen Rosen für strukturelle Probleme ablegen, die aus unserer Sicht zu Gewalt geführt haben. In der Hoffnung, in einer gewohnt konstruktiven Weise, mit Ihnen in einen Dialog treten zu können, übersenden wir Ihnen nun die Sammlung. Die Rosen wurden vor dem Kreißsaal (auch in Achern und Lahr) abgelegt und unsere Stellungnahme dazu auf unserer Homepage veröffentlicht.
Nach wie vor gilt die Regelung, dass werdende Familien bei Geburtsbeginn getrennt bzw. auf die Besuchszeiten beschränkt werden, und erst dann ihr Kind gemeinsam gebären dürfen, sobald die Geburt mit geburtswirksamen Wehen im Gange ist. Dass die Geburtsbegleitung durch eine Person fast lückenlos in Zeiten der Pandemie überhaupt zugelassen war, darüber sind wir nach wie vor froh und begrüßen hier Ihre Kompromissbereitschaft, die Sie in diesem Punkt seit Frühjahr 2020 zeigten. Nun sind wir aber ein ganzes Stück weiter in der Pandemie. Nicht nur die Wissenschaft bezüglich des Virus hat nun wichtige Daten, die im Umgang mit Maßnahmen usw. Aufschluss geben. Auch Erfahrungsberichte von Familien, die in den letzten 1,5 Jahren in Ortenauer Häusern geboren haben, liegen nun vor.
Die Frauen waren zur Geburt nicht alleine. Darüber herrscht uneingeschränkte Dankbarkeit. Jedoch waren sie alleine zu vielen Untersuchungen im Vorfeld. Alleine wenn die Geburt z.B. eingeleitet wurde – dies geschieht relativ häufig und dauert oft tagelang. Erst wenn sich eine deutliche Wehentätigkeit abzeichnete, durften Begleitpersonen zur werdenden Mutter. Mütter die eine Fehlgeburt erlitten, mussten alleine zur Abrasion in die Klinik. Und egal aus welcher Situation kommend, blieben sie schließlich alleine auf Station nach der kleinen oder großen Geburt. Hierbei spielte es keine Rolle, in welchem Zustand Mutter, Kind oder Begleitperson waren, denn die versprochene Ausnahmeregelung ist uns nicht bekannt und dass dieser je zugestimmt wurde.
Alleine – was bedeutet das für die Gebärende? Es löst Unsicherheiten aus. Vertrauen ins Personal muss erst einmal mühsam aufgebaut werden, während die Vertrauensperson draußen auf dem Parkplatz wartet. Diese beiden Faktoren hemmen die Geburtsfreude und schaffen Gefahren für Mutter und Kind. In unseren vergangenen Gesprächen waren wir uns ja immer einig darüber, wie es sich mit Adrenalin und Oxcytozin verhält.
Alleine – was bedeutet das für die wartende Begleitperson? Sorgen und Versagensängste sind nur einige wenige Emotionen, die vorherrschen, während gewartet wird. Was passiert in dieser Black-Box Klinikum? Wie geht es der werdenden Mutter und dem Kind? Wie verarbeitet die junge Familie im Nachgang die Erfahrung während einer sehr wichtigen, schmerzhaften und existentiellen Situation „alleine“ gewesen zu sein? Ist die Geburt dann gemeinsam gemeistert, schlittert die frisch gebackene Familie in die nächste Allein-Situation. Kurze Zeit nach der Geburt werden sie nämlich schon wieder getrennt. Egal in welchem Zustand. Gerade Mütter, die eine Schnittentbindung hatten, sind stark eingeschränkt in ihrer Versorgungsfähigkeit für sich und ihr Kind. Leider reißen die Erfahrungsberichte über die schlechte Betreuung auf der Wochenstation nicht ab. Aus unserer Sicht verständlich, denn bei gleichem Personalschlüssel und Wegfall des Vaters ist wohl kaum eine gute Versorgung seitens des Personals praktikabel. Nicht zu vergessen ist die emotionale Lage. Gerade wurde das gemeinsame Kind geboren. Diese Zeit möchte man zusammen verbringen. Füreinander da sein, wenn die Gefühle Achterbahn fahren, weil Kopf und Herz nicht so schnell hinterherkommen mit der Realitätsfindung. Und nicht zuletzt ist es wichtig, dass Familien bonden, um einen guten Start ins Leben zu ermöglichen.
Geburt ist wichtig – auch darüber waren wir uns immer einig. Die Pandemie stellt uns alle vor ungeahnte Herausforderungen – auch dafür hatten wir stets Verständnis. Doch nun sind wir 1,5 Jahre weiter und erfahrener. Wir bitten Sie inständig, Begleitpersonen zeitlich uneingeschränkt in den Kreißsaal und auf Station zu lassen.
Während, trotz Alarmstufe, inzwischen wieder viele geimpfte und genesene Menschen, unter den Regelungen der 2 Gs oder 3Gs, miteinander feiern, werden unsere werdenden Mütter lange Zeit alleine gelassen und Familien künstlich große Anfangsschwierigkeiten auferlegt. Dies steht für Sambucus e.V. in keinem Verhältnis.
Berichte von Familien zeigen uns, dass das ein Ende haben muss. Auch weitere Gewalterfahrungen, die aus unserer Sicht zum großen Teil auf strukturelle Ursachen zurückzuführen sind, wurden in der Pandemie meist verstärkt.
Geburt ist wichtig. Gewalt zerstört.
Zerstört nachhaltig und kompromisslos Bindungen, Familien, Zukunft. Resultierende Traumata betreffen Generationen und prägen unsere Gesellschaft.
Im Nachfolgenden möchten wir, zusätzlich zu der Problematik »Gebären in der Pandemie«, Stellen mit Gewaltpotential sowie konstruktiv gemeinte Lösungsansätze aus unserer Sicht auflisten. Die Auflistung ist ein Ergebnis aus Erfahrungsberichten von Geburten in der Ortenau, die uns zugetragen wurden.
- Personalmangel – in allen Bereichen. Dies führt dazu, dass sich Gebärende z.B. allein gelassen und hilflos fühlen oder aber Untersuchungen oder die allgemeine Betreuung als hektisch und nicht wertschätzend erleben, da der zeitliche Druck des Personals allgegenwärtig ist. Es kommt schneller zu Situationen, die die Gebärende nicht wollte, nicht versteht und die vielleicht in dieser Form auch nicht notwendig waren.
Aus unserer Sicht würde die vollumfängliche Zulassung einer Begleitperson die personelle Knappheit gut kompensieren. Schon immer entlastet die Begleitperson das Klinikpersonal, weil sie schnell ihrer Frau zur Seite stehen kann und bei Kleinigkeiten wie beispielsweise ein Glas Wasser reichen oder mal eben ein Spucktuch aus dem Schrank holen nicht die Pflegefachkraft gerufen werden muss.
- Überarbeitung – An manchen Stellen ist die Überarbeitung des Personals sichtbar geworden. Dies wirkt sich auf die Gebärende ebenfalls mit einer schlechten Versorgung aus. Berichte hierzu stammen größtenteils aus Erfahrungen auf der Wochenstation.
Überarbeitung ist aus unserer Sicht mit mehr Personal zu begegnen sowie Strukturen, die ein Durchatmen ermöglichen. Arbeitsmodelle und Teamstrukturen, die Freude an der Arbeit aufrechterhalten sind wichtig. Beispielsweise wäre die Eröffnung eines hebammengeleiteten Kreißsaals ein erster Schritt. Komplikationsfreie Geburten könnten in Hebammenhand stattfinden. Dies entlastet die anderen Kreißsäle und schafft für manche Hebammen neue Anreize, sich in ihrem Beruf zu entwickeln. Mal ganz davon abgesehen, dass die Gebärenden somit wieder eine Wahlmöglichkeit des Geburtsorts bekämen.
- 1:1-Betreuung unter der Geburt. – Dies ist gefordert, und wissenschaftliche Studien zeigen, dass es die sicherste Geburtsbegleitung ist. Gebärende erleben aber aktuell, dass sie eine von mehreren zu betreuende Gebärende sind. Individuelle Geburtswünsche bleiben hierbei auf der Strecke. Gebärende fühlen sich nicht ernstgenommen, und Interventionen, die sie nicht wollten, werden unbesprochen durchgeführt.
Eine kontinuierliche 1:1 Betreuung ist nur mit mehr Personal möglich. Zu erwähnen sind hier die neuen Leitlinien. Insbesondere die S3 Leitlinie „Vaginale Geburt am Termin“ gibt einige Punkte frei, die in der Geburtshilfe verändert werden sollten – auch in Ihrem Haus besteht hierfür Handlungsbedarf. Zugegebenermaßen ist uns bewusst, dass das große fachliche Veränderungen mit sich bringt. Wir sind zuversichtlich, dass in kleinen Schritten ein großes Vorankommen stattfinden wird.
- Überfüllung der Kreißsäle/ Abweisungen/ Verlegungen – Gebärende erfahren am Telefon oder an der Kreißsaaltür, dass es keine Möglichkeit gibt, hier zu gebären. Sie fahren weite Wege bis zum nächsten Kreißsaal – teilweise sogar außerhalb des Landkreises. Ursächlich sehen wir zum Einen die Schließung einer Geburtsstation (fehlende Betten) und zum Anderen das fehlende Fachpersonal.
Unsere Lösungsvorschläge hierfür sind die Erweiterung der Betten und zum attraktiven Arbeitsplatz werden, um neue Hebammen und Ärztinnen zu gewinnen.
- Gewaltvorerfahrungen – Immer mehr Frauen bringen zum Zeitpunkt der Geburt ihrer Kinder bereits Gewalterfahrungen mit bzw. haben eine traumatisierende Erfahrung gemacht. Aufgrund von meist strukturellen Problemen sind sie der hohen Gefahr einer Retraumatisierung im Kreißsaal ausgesetzt, da dafür schon kleinste Trigger ausreichen.
Eine traumasensible Haltung allen Gebärenden und Angehörigen sowie dem Personal gegenüber entzieht einer Retraumatisierung den Nährboden. Die Einrichtung einer traumsensiblen Sprechstunde könnte ein Schritt sein, um offensiv der Problematik zu begegnen.
- Traumatisierung – Entstehen durch respektloses Verhalten beispielsweise vom geburtshilflichen Personal gegenüber der Gebärenden. Wir schließen uns in diesem Punkt den Ausführungen der „Roses Revolution“ an, die Beispiele an Gewalt gegen Gebärende auflistet und auf die dadurch entstehende Gefahr für ein Trauma aufmerksam macht. Gewalt gegen Frauen ist, …
- sie unter Wehen gegen ihren Willen zum Stillliegen zu zwingen.
- unter Wehen wieder und wieder nach dem Muttermund zu tasten.
- ihnen zu sagen: »“Wenn Sie jetzt nicht mitarbeiten, dann stirbt Ihr Baby!«.
- sie unter Geburt allein zu lassen oder ihnen zu sagen, sie sollen gefälligst still sein.
- die Geburtsposition (z.B. liegend auf dem Bett mit festgeschnallten Beinen) vorzuschreiben.
- ihnen ohne ihr Einverständnis und ohne medizinische Notwendigkeit einen Dammschnitt zuzufügen
- bei Ihnen ohne medizinische Notwendigkeit einen Kaiserschnitt zu machen.
- sie ohne medizinische Notwendigkeit von ihrem Baby zu trennen
- Kommunikation – Manche Situationen wären mit besseren Kommunikationsstrukturen vermeidbar. Das Machtgefälle Arzt-Hebamme-Patientin ist eine Hürde, die sich kaum verändern lässt.
Eine Kommunikation auf Augenhöhe ist aus unserer Sicht trotzdem möglich und eigentlich unabdingbar. Dies lässt sich erlernen und durch kollegiales Feedback stetig verbessern.
- Unterstützung des Personals – Geburt ist mächtig und endet nicht immer in vollkommenem Glück. Der Umgang mit schwierigen Situationen ist nicht nur in der Notlage, sondern auch für die allgemeine Haltung auf der Station wichtig, damit die Sorge der Wiederholung des Notfalls nicht die Betreuung von anderen Geburten überschattet und hierbei zu unnötigen Interventionen führt.
Die Begleitung des Personals, gerade bei schwierigen Geburtsverläufen, darf nicht vergessen werden. Supervisionen und Trainingsmöglichkeiten unterstützt nicht nur die Teamentwicklung, sondern stärkt das Team, um Krisen gemeinsam bewältigen zu können.
Gerne können wir Ihnen einige der Geschichten im persönlichen Austausch berichten – es sind ganz sicher keine Ausnahmefälle. In der ersten Novemberwoche begleiteten wir eine junge Familie zur Geburtsnachbesprechung in die Klinik. Frau Vogt und Herr Madundo bekamen die Auswirkungen in Form von Versagensgefühlen, Schuldzuweisungen und großer Unsicherheit von der Familie geschildert.
Es ist uns ein Anliegen, auch weiterhin mit Ihnen und Ihrem Team konstruktiv im Austausch zu stehen. Die aktuelle Situation rund um Schwangerschaft und Geburt ist für die Familien sehr angespannt. Gefühlt versuchen die werdenden Eltern schon sehr früh alles bestmöglich zu planen, damit die Regelungen der Corona-Pandemie sie nicht in noch größere Schwierigkeiten bringen. Geburt ist nicht planbar, die Pandemie ist nicht planbar. Offensichtlich können die Familien nur verlieren. Der Druck im Voraus ist immens.
Uns ist der Spagat zwischen menschlichen Entscheidungen und den politischen Regeln sehr wohl bewusst. Darum bitten wir Sie inständig, den Begleitpersonen wieder die Möglichkeit zu geben, von Anfang im Schwangerschafts- und Geburtsprozess teilhaben zu können. Sicherlich haben die Begleitpersonen Verständnis dafür, dass dies nur unter den aktuell geltenden Schutzmaßnahmen passieren kann. Bitte lassen Sie die manchmal willkürlich erscheinenden Kriterien, ab wann die Begleitperson in die Klinik kommen darf, fallen und ersetzen den Zeitpunkt mit: von Anfang an.
Mit freundlichen Grüßen
Sambucus e.V.